Mittwoch, 30. August 2017

C2C 011 Columbia River


Columbia River

Unsere Weiterfahrt ab Missoula stand unter keinem guten Stern. 18km südlich von Missoula hatte Maria einen Unfall. Sie wurde von einem Auto umgefahren, das die Vorfahrt missachtet hatte.  Polizei und Unfallwagen kamen sehr schnell, Maria wurde sofort an Ort und Stelle medizinisch versorgt und anschließend zur Notaufnahme ins Krankenhaus gebracht.


Thomas und Heiner waren etwas später losgefahren und kamen fünf Minuten danach völlig entsetzt zur Unfallstelle. Sie kümmerten sich um die Räder, vor allem um das kaputte Rad von Maria. Der Besitzer eines nahen Süßwarenladens fuhr die Räder von Maria und Ralf mit seinem Pickup nach Massoula zurück.


„Freundschaftsdienst“ meinte er und wollte nichts dafür haben.

Maria wurde noch am Nachmittag mit einer sehr schmnerzhaften,  tiefen Wunde am Oberschenkel und etlichen Blässuren aus dem Krankenhaus entlassen. Es hätte schlimmer ausgehen können, aber es war auch so schlimm genug. An ein Weiterradeln jedenfalls war vorerst nicht zu denken. So blieb sie mit Ralf in Missoula. Einige Tage später mieteten sie ein Auto und erkundeten aus dieser veränderten Perspektive die Umgebung. Sie überlegen, evtl. die TransAm später zu Ende zu fahren, wenn Maria wieder fit ist. Wir hoffen sehr für sie, dass das klappt. „Be safe“ oder „take care“ wird uns sehr oft zugerufen. Spätestens jetzt wussten wir: Das sind wahrlich keine Floskeln.

So fuhren wir, Heiner und Thomas, am folgenden Tag alleine weiter, wenn auch mit großem Bedauern. Allerdings, der Highway 12 zum Lolo-Pass, über den wir mussten, war besonders von den Waldbränden betroffen. Beißender Qualm hatte sich über Missoula ausgebreitet, am Abends war die Glut des Feuers weithin zu sehen,



über tausend Menschen waren aus ihren Häusern evakuiert worden. An der Abbiegung zum Highway 12 gab es eine Info-Stelle der Feuerwehr, bei der wir nachfragten, ob die Straße passierbar sei. Um uns hatten sich fast 50 Menschen an der Info-Stelle versammelt, die größére Sorgen hatten als wir. Sie alle waren evakuiert worden und wollten wissen, wann sie in ihre Häuser zurück können und wie es dort aussieht. Wir bekamen die Information, dass die Straße passierbar sei, aber nur mit einem vorausfahrenden Pilot Car, einer Art Lotsenauto. So fuhren wir denn, zusammen mit mehreren Autos, hinter einem solchen Pilot-Car her, das allerdings bald entschwand, da wir zu langsam waren. Letztlich fuhren wir allein durch dieses Gebiet, ab und an überholt von Pilot Cars mit mehreren Autos im Schlepp. Aber wir merkten, dass man uns sehr wohl im Blick hatte, einmal hielt ein solches Auto an und fragte nach, wie es uns geht. So fuhren wir über eine Strecke von etwa 15km allmählich bergauf durch eine verkohlte und noch qualmende Landschaft,  durch beißenden Qualm, der das Atmen erschwerte, vorbei an leerstehenden Häusern, deren Bewohner evakuiert waren.



Zumindest waren die Häuser, soweit wir sehen konnten, nicht beschädigt. Es war eine gespenstische Szenerie. Feuer war nicht mehr zu sehen, es hatte sich offenbar weiter ins Hinterland verzogen. An vielen Häusern waren Spruchbänder, die Dank an die Feuerwehr ausdrückten. Wie wir später erfuhren, war die Straße noch am Nachmittag und am folgenden Tag komplett gesperrt worden.

Nach 15km hatten wir die verkohlte Landschaft hinter uns gebracht. Infolge des Gegenwindes blies es den Qualm in die andere Richtung. Über uns war blauer Himmel, die Luft war wieder klar, wir konnten durchatmen.  Vier Stunden später, nach einem Anstieg von über 600 Höhenmetern, erreichten wir den Lolo-Pass. Anschließend überschritten wir die Grenze zum Bundesstaat Idaho und es ging hinunter bis zum Ort Powell. Ort? Wir sahen nur eine Tankstelle mit einem winzigen store, einige cabins, die man mieten konnte, und eine Wiese unter Bäumen zum Campen. Letzteres reichte uns völlig und wir verbrachten hier einen schönen Camping-Abend.








 Thomas fährt solche Strecken einschließlich damit verbundener manchmal stundenlanger Anstiege völlig problemlos, kaum, dass er abends mal das Knie oder die Hüfte spürt. Auch die Fitnes ist kein Problem. Wirklich unglaublich, nach einer solchen OP.


Der nächste Morgen war der Start in einen Super-Bike-Tag, einen der schönsten der Tour überhaupt. Es ging den Lochsa-River entlang, stets abwärts bis auf eine Höhe von 500m und das bei strahlendem Sonnenscheinn. Es war auch der Abschied von den Rockys. Auf hundert Kilometer gab es nichts, kein Dorf, kein Haus, nicht einmal eine Tankstelle. Nur eine ehemalige einsame Ranger-Station aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts inmitten dieses no-where, heute ein Museum. Sonst nur Natur, wildernes. Der Fluss, ein flacher Bergbach eher, schlängelte sich durch ein enges Tal. Das Wasser rauschte über runde, glatt geschliffene Steine, in der Sonne silbrig glänzend, ab und zu von Totholz aufgestaut. Links und rechts das dunkle Grün der verschiedenen Kiefern- und Fichtenarten. Immer wieder ragte majestätisch die  Ponderosa-Pine heraus. Es war herrlich.


Abends blieben wir auf dem sehr einfachen, aber schönen Campingplatz „Wild Goose“ bei Lowell. Rob, der sein Zelt nebenan aufgeschlagen hatte, gesellte sich zu uns. Er kam aus San Franzisco und machte mit dem Auto eine Rundtour. Auf einem Bauernmarkt hatte er mehrere Melonen eingekauft, die er mit uns teilte. Es war ein netter Abend. „Nicht alle Amerikaner sind wie Trump. Das habt ihr hoffentlich gemerkt.“ meinte er am Ende.


In Kooskia gab es in einem Cafe am Sonntagmorgen ein Frühstück-Buffet, dem wir absolut nicht widerstehen konnten. Richtig schön fett, üppig, mit Bratkartoffeln, Speck, Würstchen, Eiern, einfach zum Reinhauen. Das taten wir auch und fuhren, so gestärkt, weiter nach Kamiah. Dort waren wir Gäste eines Paw Waw der Nez Perce Indianer, die in der Nähe in einem Reservat leben. Viele Familienclans hatten sich auf einem Platz eingefunden, außer uns gab es wenige Zuschauer. Im Gedenken an Chief Lookingglass, einen Häuptling aus der Zeit der Indianerkriege und der blutigen Verfolgung des Stammes durch die US-Army 1877 wurden eine Reihe von rhythmischen Tänzen aufgeführt, begleitet von monotonen Gesängen von verschiedenen Gruppen.




Alle waren in bunte, traditionelle
Festgewänder gekleidet, viele trugen Federschmuck. Die Moderation und die Gespräche untereinander verliefen auf Englisch. Die Zeremonie war für uns sehr fremdartig, aber eindrucksvoll.

„Es leben etwa 5.000 Menschen in dem Reservat, die Verfolgungen am Ende des  19. Jahrhunderts haben unser Volk stark dezimiert und  zerstreut, viele leben in Montana, andere hatten sich bis nach Kanada geflüchtet,“, erzählte uns eine junge Nez Perce am nächsten Tag. Sie war an einer Straßenbaustelle zur Verkehrsregelung eingesetzt, und da wir länger vor ihrem Stop-Schild warten mussten, kamen wir ins Gespräch.


Ob zu Hause die Nez Perce-Sprache noch gesprochen werde? Nein, die Alltagssprache sei längst Englisch, kaum jemand könne die eigene Sprache noch fließend sprechen. Ihr Sohn könne besser Nez Perce als sie, da es mittlerweile in der Schule wieder gelehrt werde. Das war einmal anders. Ihre Mutter gehörte zu der Indianer-Generation, die als Kinder zwangsweise zur „Umerziehung“ in Internate geschickt wurden. Die eigene Sprache und Kultur war bei Strafe verboten. Durch diese Zwangs-Assimilierung ging vieles an indianischer Sprache und Kultur verloren.


Das Jahrhundertereignis der fast totalen Sonnenfinsternis, hier Eclipse genannt, sahen wir in Orofino vor einem Baumarkt, zusammen mit den Beschäftigten und Anwohnern. Sie liehen uns ihre Brillen aus und interessierten sich zudem sehr für unsere Tour. Es war eindrucksvoll, wie sich der Mond vor die Sonne schob, die schließlich nur noch als schmaler Ring zu sehen war. Mitten am Vormittag war die Landschaft in ein seltsames Dämmerlicht getaucht.


Wir hatten uns entschieden, ab Kooskia bis zum Pazifik als Variante der TransAm den Lewis and Clark-Trail zu wählen, wie bereits erwähnt nach der Expedition benannt, die von 1804-06 im Auftrag des damaligen Präsidenten Jefferson den noch völlig unbekannten Westen der USA erkunden und einen Weg zur Pazifik-Küste finden sollte.

Der Trail folgt ziemlich genau dieser damaligen Route und verläuft über eine lange Strecke entlang des Columbia-River. Wir wollten mit dieser Entscheidung den großen Bogen vermeiden, den die TransAm in Oregon macht, zudem war uns der Columbia-River als landschaftlich sehr reizvoll geschildert worden. Zielort ist ebenfalls Astoria. Allerdings war die Strecke ab Clarkston über Dayton nach Walla Walla alles andere als reizvoll. Es gibt hier intensiven Getreideanbau aufgrund der dicken Schicht fruchtbaren Lös-Bodens, auf den schon Lewis und Clark hingewiesen hatten, jeder Meter wird genutzt. So fuhren wir denn über völlig kahl wirkende ausgeräumte Hügel, kein Baum und kein Strauch, kilometerlang vorbei an abgeernteten, endlosen Getreidefeldern, ab und zu gelber, vertrockneter Grasbewuchs.






 Den größten Teil der Tage hatten wir scharfen Gegenwind, gegen den wir uns mühsam in kleineren Gängen stemmen mussten, selbst bergab mussten wir noch in die Pedale treten. Am Nachmittag kam dann eine sengende Hitze dazu. Fröhliches Radeln geht anders. Außerdem führte die Route überwiegend entlang stark befahrener Highways mit vielen Trucks und oft ohne ausreichend breite Seitenstreifen. Auch das ist nicht schön.

Auch die wenigen Dörfchen und kleinen Städte in dieser Gegend zeigten sich recht triste. Bilder, die wir bereits aus Kentucky und anderen Gebieten kannten. Viele Farmen waren verlassen und verfielen, in Dayton standen vor etwa der Hälfte der Häuser Schilder „Zum Verkauf“ oder die Häuser waren einfach dem Verfall preisgegeben, in der Main Street waren zahlreiche Geschäfte geschlossen. Die Gründe sind, so wurde uns erklärt, der Preisverfall der landwirtschaftlichen Produkte, der Farmer zum Aufgeben zwingt und nur riesige Farmen oder Kooperativen übrig lässt.

Insgesamt fiel uns auf, dass großartige Villen, wie wir sie in Virginia häufig gesehen hatten, in dieser Region kaum zu finden sind. Die Häuser sind recht klein und bescheiden. Zudem sind sie einfachst gebaut, wie in den USA wohl generell. Ein Rahmen aus Holzpfosten, dazwischen Sperrholzplatten, darüber eine dünne Isolierfolie und außen als Verkleidung Bretter aus Holz, oft ist es nur Holzimitat. Keller, Fundamente? Unbekannt. Allerdings, daneben stand auffallend häufig ein Wohnwagen oder Wohnmobil, nicht selten ein riesiger Bus, auch an den Seiten noch ausfahrbar. Sie dienen anscheinend als Zusatzwohnung, etwa für die erwachsenen Kinder, bei Wohnungswechsel, in den USA weit häufiger als bei uns, kann man zeitweise darin wohnen, und man kann am Wochenende damit zum Campen fahren. Auf den Campingplätzen verschwinden unsere kleinen Zeltchen oft zwischen solchen gewaltigen Geschossen. Am Rande von Städten fuhren wir immer wieder an Trailer-Siedlungen vorbei, Wohnwagen-Siedlungen, in denen Menschen fest leben. Manche dieser Siedlungen wirken ganz ok, andere dagegen sind Slums, schmutzig, verwahrlost, Gerümpel überall.


Aber die USA ist das Land der Gegensätze. Eben fahren wir noch durch eine triste Gegend, da kommt um die nächste Ecke ein wirklich hübsches, gepflegtes Städtchen. So erging es uns mit dem Städtchen Walla Walla.




 Bereits vorher waren uns da und dort Weinanbauflächen in der Umgebung aufgefallen. Der Ort selbst war wirklich angenehm, die Main Street mit gut erhaltenen Gebäuden aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts, hübschen Geschäften, Blumenampeln an den Laternen, zahlreichen Lokalen verschiedener Winzer, die Weinproben anboten. Natürlich konnten wir nicht widerstehen, blieben einen halben Tag und genossen schmackhaftes Essen und guten amerikanischen Rotwein. Wir hatten längst festgestellt, dass es in solchen Städten neben der sonst zu findenden Burger-Tristesse wirklich gute Restaurants für Feinschmecker gibt. Und dafür hatten wir inzwischen eine Nase.

Am folgenden Tag trafen wir auf den Columbia-River, den Grenzfluss zwischen Oregon im Süden und Washington state im Norden.



Es ist ein breiter, eindrucksvoller Fluss, eingerahmt von vulkanischen, imposant aufragenden steilen Bergketten, ebenfalls völlig kahl und gelb von der dünnen, vertrockneten Grasdecke. An manchen Stellen wirkt das Tal sehr breit, an anderen verengt es sich zu einer Art Canyon. Eine Landschaft mit einer sehr eigenen Faszination.




Die ersten mehr als 100km gibt es kaum Besiedlung. In zwei Tagen sahen wir nur zwei oder drei Frachtschiffe. Dafür gibt es umso mehr Eisenbahnverkehr, ausschließlich Güterzüge mit zwei bis drei dicken E-Loks vornweg und danach einen Kilometer und mehr verschiedene Waggons. Tag und Nacht fahren sie lautstark auf beiden Seiten des Flusses entlang. Sie transportieren vor allem Kohle und Fracking-Öl. Die Campingplätze, auf denen wir jeweils übernachten, sind zwar schön am Fluss gelegen, aber der Lärmpegel ist durch Auto- und Schienenverkehr sehr hoch.



Ab der Stadt The Dalles ändert sich das Landschaftsbild allmählich. Hohe Berge und schroffe, steile Felsformationen rahmen das Flusstal ein, immer mehr überzogen von üppig grüner, dichter Bewaldung. Mehr Schiffe sind zu sehen, auch Freizeitboote und sogar ein Ausflugsdampfer, die Besiedlung nimmt zu und wir kommen durch hübsche, touristisch interessante Städte und Dörfer. Es erinnert uns an das Rheintal an der Loreley, allerdings, wie könnte es in Amerika anders sein, mit völlig anderen, weit größeren Dimensionen.


Wir fahren nicht den stark befahrenen Highway, sondern die frühere Straße, den Historic Columbia River Highway, der kaum Verkehr aufweist, sich beschaulich durch die bewaldete Landschaft schlängelt und immer wieder den Blick auf den Fluss frei gibt. Dabei kommen wir an mehreren sehenswerten Wasserfällen vorbei, so an den Multnomah-Falls, dem zweit-höchsten Wasserfall in den USA.





Eine Hügelkuppe mit besonders schönem Blick auf das Flusstal krönt als Touristenmagnet das „Vista House“, ein repräsentatives Jugendstilgebäude.




 Leider war die Sicht nicht klar durch den Qualm von großflächigen Waldbränden in der Umgebung. Dennoch: Unsere Erwartungen an den Columbia River haben sich mehr als erfüllt. Wir nehmen uns für diesen Abschnitt von Biggs bis Portland Zeit, fahren kürzere Strecken von 60, maximal 70 Tageskilometern, legen immer wieder Pausen ein und genießen diese großartige Landschaft. Darin inbegriffen sind natürlich auch eine nachmittägliche Einkehr in einer Brauerei und noch einmal ein ausgiebiges wine-tasting an einem einladenden Probierstand, direkt am Ende eines Radel-Tages. Das anschließende Zelt-Aufbauen gestaltete sich etwas schwieriger als sonst. Auf der Strecke haben wir überraschend auch Joan und Ken wieder getroffen, das Radlerpaar aus Ohio, mit dem wir viele Tagesstrecken zusammen gefahren waren.


Durch sie kamen wir auf die Idee mit dieser Variante entlang des Columbia River. Sie hatten die TransAm in Missoula unterbrochen und fuhren jetzt den Rest in umgekehrter Richtung zu Ende. Es war eine überaus freudige Begrüßung.

Heute, am 29. August 2017, sind wir in Portland, Oregon angekommen. Hier wollen wir einen Rasttag einlegen, um dann das letzte Stück des TransAmericanTrail bis Astoria in etwa drei Tagen zurück zu legen. Dann haben wir es geschafft.





 Unterwegs denken wir immer wieder an Maria und Ralf, die durch den Unfall leider nicht dabei sein können. Aber sie nutzen die Zeit recht gut und sind gerade in San Franzisko. Und wir hoffen für sie, dass sie den Rest der Strecke demnächst nachholen können.

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