Mittwoch, 16. August 2017

C2C 010 Yellowstone und Montana



Wyoming ist Cowboyland. Der Mythos dieser harten Burschen, die auf ihrem Pferd der Wildnis trotzten, wird gepflegt. Pure Nostalgie? Ausdruck einer rückwärtsgewandten, reaktionären, macho-haften Einstellung? Man begegnet ihm überall,
in der Folklore, der Ausstattung der Lokale, vor allem in dem noch vorhandenen frontier-feeling der Eroberung der Wildnis. Wyoming ist, ebenso wie Montana, ein sehr junger Staat, die Besiedlung begann vor gerade einmal 150 Jahren, in vielen Gebieten noch später. Ortschaften haben noch den touch von Wild-West mit ihren rustikalen Holzfassaden, mit dem Unterschied, dass die Straßen asphaltiert sind und statt der Pferde vor den Bars Pickups und dicke Vierrad-Antriebe stehen. Outdoor-Aktivitäten sind sehr beliebt, aber natürlich bestens ausgerüstet mit allem Komfort in überdimensionierten Wohnmobilen, das Auto hinten angehängt.


Ein Erlebnis der besonderen Art hatten wir in Jeffrey-City. Einwohnerzahl: 5. Im Zuge des Uran-Booms nach 1971 waren es 5000. Doch das war nach wenigen Jahren vorbei. Übrig blieb eine Geisterstadt. Viele Gebäude wurden abgerissen, die meisten verfallen, sind mit Brettern zugenagelt. Aber es gibt eine Kneipe: das Split Rock Bar und Café. Die Besitzerin ist eine sehr couragierte Frau, aus Kalifornien stammend und seit 11 Jahren hier. Sie suchte die Einsamkeit und hält tapfer die Stellung. Nicht so tapfer hielten sich die wenigen Gäste, die sich abends eingefunden hatten. Lonely Cowboys alle, hingen oder lagen sie nach mehreren Bieren verloren auf ihrem Barhocker. Eine eigenartige Atmosphäre. Auf unsere Frage nach einem Quartier wurden wir auf die Kirche des Ortes verwiesen, eine Meile außerhalb. Dorthin fuhren wir dann bei einbrechender Dunkelheit, vorbei an verlassenen Häusern, verwahrlosten Grundstücken, Autowracks. Wir übernachteten in den hinteren Räumen der Kirche, etwas  muffig zwar, aber wir waren dankbar für die Gastfreundschaft, hatten eine funktionierende Dusche, die Wände waren von zahlreichen Radlern vor uns kunstvoll gestaltet.


Es ist ein geschichtsträchtiges Land, durch das wir fuhren. Und als Geschichts-Freak interessiert das natürlich insbesondere Heiner. Der Split Rock, ein in zwei Teile gespaltener riesiger Fels, ist über viele Kilometer sichtbar und diente bereits den Indianern als Orientierung, später den Siedlertrecks und der Pony Route.




Dies war eine schnelle Post zu Pferde um 1860, Buffalo Bill war der berühmteste Postreiter. Die Telegrafen setzten dem bereits nach zwei Jahren ein Ende. Nach dem Ort Lander erinnert ein Historical Marker an die blutige Schlacht zwischen den Indianerstämmen der Shoshonen und der Crow im Jahre 1866 um die Vorherrschaft über Jagdgründe, die durch die begonnene Ausrottung der Büffel kaum noch  ertragreich waren und die sie ohnehin wenige Jahre danach verlieren sollten. Der Weg führt weiter durch das Wind-River-Reservat der heute hier lebenden Shoshonen- und Arapaho-Indianer. Die Red Rocks of Wyoming, in der Sonne kupfern leuchtende Felsmassive, säumen den Weg entlang des Wind River.



Es sind herrliche Fotomotive. Dazwischen die weiten Täler, an den Flussläufen Bäume und Büsche, ansonsten Grasland und das typische Sagebrush.

Mit dem Wetter haben wir Glück: Meist ist es sonnig, an manchen Tagen bewölkt, selten mal leichter Regen zwischendurch. Zu wenig, sagen die Einheimischen, denn es ist sehr trocken. Die Temperaturen sind angenehm warm, es ist nicht zu heiß und morgens und am Abend ziehen wir erstmals auch wärmere Sachen an, die wir die ganze Zeit mitschleppen. Uns fällt auf, dass ein erheblicher Teil der Kiefern abgestorben sind. Folge des Befalls durch den „Mountain Pine Beatle“, eine Art Borkenkäfer, der sich offenbar durch zu milde, trockene Winter ausbreiten konnte.



 Immer wieder müssen hohe Pässe überwunden werden, so der Togwotee-Pass mit 2.900 Höhenmeter. Der Anstieg verläuft allmählich, über viele Kilometer, dennoch bedeutet es mehrere Stunden bergauf zu fahren und ist sehr anstrengend. Dafür geht es dann 27km herrlich bergab. Wir fahren immer auf normalen, asphaltierten Straßen, meist mit wenig Verkehr. Auf manchen Abschnitten allerdings gibt es ein höheres Verkehrsaufkommen, und wenn dann keine Seitenstreifen vorhanden sind, ist es problematisch. Die meisten Autofahrer in den USA sind sehr rücksichtsvoll, aber eben nicht alle. Manche Trucks, riesig oft und mit Anhänger, fahren insbesondere bei Gegenverkehr sehr eng vorbei, und da wird es manchmal brenzlig.

 Die würden es wahrscheinlich nicht einmal merken, wenn sie einen Radfahrer umbügeln. Genau das ist einer anderen TransAm-Radlerin passiert, die Gott-sei-dank im Krankenhaus wieder hergestellt werden konnte. Es ist jedenfalls nicht ungefährlich.

Schließlich, nach Dubois, die Bergkette des Teton, Wie eine Wand erheben sich die Gipfel des Mt. Teton und des Mt,. Moran über dem Tal, gewaltig, auf der Spitze Schnee und Gletscher, davor der Jackson Lake. Erst vor 9 Mio Jahren haben sich diese Berge erhoben und hat sich zugleich das Tal davor abgesenkt als Folge des Aufeinanderprallens zweier Erdplatten. Leider war die Sicht auf die Bergkette nicht klar: Durch Waldbrände weiter oben im Nordwesten der USA und in Kanada hing eine beißende Qualmwolke über dem Gebiet. Dennoch bot die Bergkette vor allem in der Abendsonne einen atemberaubenden Anblick. Wir blieben für einen Rasttag auf dem Campingplatz von Colter Bay im Teton-Park.





Eine entscheidende Veränderung hatte sich innerhalb unserer Gruppe ergeben: Unser Freund Thomas, der leider die Trans Am bis dahin nicht mitfahren konnte, war zu uns gestoßen. In Denver gelandet kam er mit einem Mietwagen zum Teton-Park. Hier stieg er auf sein Fahrrad und radelte fortan die folgenden Strecken mit.

Ohne jegliche Probleme! Über hohe Pässe und Strecken mit mehr als 100km am Tag. Und das nach einer Hüftgelenk-OP vor nicht mehr als 2 ½ Monaten. Unglaublich. Wir freuen uns natürlich sehr über seine Begleitung und darüber, dass wir jetzt wie geplant zu viert sind. Und Thomas selbst ist sehr glücklich, diesen schönsten Teil der TransAm doch noch fahren zu können. Es klappt weiter gut zwischen uns jetzt auch zu viert, teilweise gehen wir jeweils auch eigene Wege, aber wir bilden  ein gutes Team, gestalten die Tour gemeinsam und verbringen nette Abende zusammen.


Nach dem Teton ging es zum Yellowstone Park. Aber: es war eine herbe Enttäuschung. Landschaftlich ist er nicht so reizvoll wie der Teton, sehenswert sind die zahlreichen Geysire, die ihre heißen Wasserfontänen ausspucken und ihre Umgebung in die schillerndsten Farben tauchen.






Aber der Park war rammelvoll mit Touristen, die Straßen, die durchführten, waren völlig verstopft mit Autos, ohne Seitenstreifen war das Radfahren unangenehm und gefährlich. Wir hatten nur noch das Bestreben, dem Rummel zu entrinnen. Wahrscheinlich hätten wir mehr in Hinterland des Parks fahren und uns Zeit nehmen müssen, um mehr vom Park und seiner Tierwelt mitzubekommen. Schwarz- oder Grizzlybären haben wir keine gesehen, wahrscheinlich war das auch besser so.

Immer wieder trafen wir unterwegs und auf Campingplätzen auf andere Fernradler oder Wanderer. So in Colter Bay auf Scott, Arzt aus Colorado, der sich bereits darauf freut, in wenigen Jahren pensioniert zu werden und ähnliche Touren wie wir machen zu können. Oder Florian, 21 Jahre alt, aus Österreich, auf Weltreise mit dem Fahrrad, der immer wieder zwischendurch arbeitet. Oder Barbara aus Kalifornien, die mit einem kleinen Leiterwagen fürs Gepäck durch die Rockys wandert. Es ergeben sich immer interessante Gespräche. So über die großen Gegensätze, auf die wir stoßen und die uns überraschen. Armut und Dritte-Welt-Verhältnisse, abgerissene Ortschaften neben Reichtum, wohlhabenden Städten und High Tech. Kalifornien hebt sich offenbar deutlich von den anderen Bundesstaaten ab, es ist Zentrum von Innovation und weltweit Motor der Digitalisierung. Warum? Barbara führt es auf das besonders liberale, offene und innovationsfreudige gesellschaftliche Klima zurück. Man sei offen für Neues, Fehler würden verziehen. Es zähle nicht der Status, sondern das, was man leistet. Und geschichtlich seien es die mobileren, risikofreudigeren Menschen gewesen, die jeweils weiter nach Westen zogen. Die Wahl Trumps? Sie bestätigte unsere Eindrücke, aus eigenem Ansehen und aus vielen Gesprächen: In den letzten ein bis zwei Jahrzehnten sei es zu großen wirtschaftlichen Umbrüchen gekommen, Firmen wurden in Niedriglohnländer verlagert, insbesondere im sog. Rust-belt südlich der großen Seen wurden Fabriken und Minen geschlossen, in der Landwirtschaft findet ein Konzentrationsprozess hin zu industrieller Produktionsweise mit riesigen Maschinen statt. Eine mittelständische Industrie wie in Deutschland ist in den USA weniger entwickelt. So gingen in großem Stil Arbeitsplätze verloren, Regionen verarmten, ohne dass Alternativen entwickelt wurden. Einen Länderfinanzausgleich gibt es nicht. Für die Nöte der Menschen interessiert sich niemand, es gibt keinerlei Hilfen. Erst Trump griff dieses Thema auf. Obwohl er natürlich am wenigsten helfen wird und die Hoffnung, dass die alten industriellen Arbeitsplätze zurückkehren, nicht aufgehen wird. Übrigens: Wir haben noch niemanden getroffen, der sich als Befürworter Trumps bekannte. Alle amerikanischen Gesprächspartner bisher waren genauso entsetzt wie wir selbst. „He is crazy“ war ein Kommentar. Dennoch: In Wyoming ebenso wie in Montana hat die große Mehrheit Trump gewählt.


Nach Montana kamen wir am Ende des Yellowstone-Parks. Es ist einer der nördlichsten Bundesstaaten der USA, flächenmäßig fast so groß wie die Bundesrepublik, aber mit nicht einmal
1 Mio Einwohnern.


Es ging entlang des Madison-River über Ennis nach Virginia City,  Zentrum des Goldfiebers 1863 bis 65 in dieser Region.




Virginia City ist ein Museumsdorf, viele Gebäude aus dem 19. Jahrhundert sind erhalten und zeigen das Inventar aus der damaligen Zeit. Man fühlt sich um über 100 Jahre zurück versetzt.




Durch das Beaverhead-Tal und das Big Hole Tal radelten wir über Dillon nach Wisdom. Wir folgten genau der Route, die die Lewis and Clark-Expedition in den Jahren 1804 bis 1806 nahm, um im Auftrag der  Regierung den noch völlig unbekannten amerikanischen Westen zu erkunden und den Weg zum Pazifik zu finden. Das imposante Felsmassiv Beaverhead war ein wichtiger Orientierungspunkt, der der indianischen Dolmetscherin Sacajawea und damit der Expeditionsgruppe den richtigen Weg nach Westen zeigte. Hier trafen sie auf ein Sommerlager des Shoshonen, die sie mit dringend benötigten Lebensmitteln und Pferden versorgten. Auch die Siedlertrecks folgten später dieser Route, Spuren ihrer Wagenräder sind teils noch erkennbar.


Nach Wisdom geht es an einem Schlachtfeld aus dem Jahre 1877 vorbei. An dieser Stelle wurde vom US-Militär eine Siedlung der Nez Perez-Indios überfallen und über 100 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder, getötet.


Die Nez Perez konnten den Angriff zurückschlagen und flüchteten weiter, um in Kanada Zuflucht zu finden. Kurz vor der Grenze wurden sie gestellt und ergaben sich. Sie durften aber nicht, wie versprochen, in ihr angestammtes Gebiet zurückkehren, sondern wurden fernab in ein Reservat verschleppt.




Obwohl wir vieles bereits vorher wussten, ist es doch bedrückend, hier an den Original-Schauplätzen von dem brutalen Umgang mit der indianischen Urbevölkerung zu erfahren. Im Grunde wiederholt es sich jeweils in ähnlicher Form. Die Indianer waren einer Besiedlung des Landes im Wege, sie waren die Bösen, die roten Teufel. Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer. Es war letztlich Völkermord. Laut Barbara ist es noch gar nicht lange her, dass sich die Haltung gewandelt und man Interesse an indianischer Kultur und Lebensweise entwickelt habe und wertschätze.


Es war ein Genuss, durch diese weite, menschenleere Landschaft der Rockys zu radeln, die sich in den letzten 200 Jahren kaum verändert haben dürfte. Die schönen Hochtäler mit den Flüssen und Bächen in natürlichen Flussläufen sind eine Augenweide, mit eindrucksvollen Bergketten im Hintergrund. Immer wieder sehen wir Wildtiere, die hübschen Pronghorn Antilopen, die eindrucksvollen Mule deer, White tailed deer, einen weiblichen Elk und sehr häufig, oft in der Nähe eines Nestes, den Osprey, den Fischadler. Weiter war das Wetter schön und wir dachten zuweilen mitleidig an unsere Freunde zu Hause, die offenbar einen verregneten Sommer ertragen müssen. Ab und an gibt es eine Ranch, Heuballen künden von extensiven landwirtschaftlichen Aktivitäten.


Mehrfach mussten wir hohe Pässe überwinden mit jeweils 400 Höhenmeter Anstieg und mehr, zusammen waren es einmal 1.250 Höhenmeter an einem Tag. Dennoch fuhren wir Strecken von 100km täglich. Besonders heftig war der Chief-Joseph-Pass, bei dem es nochmals auf 2.200m hoch ging, benannt nach dem Häuptling der Nez-Perez.


Danach ging es mehr als 1.000 Höhenmeter hinunter in das Bitterroot-Tal, bezeichnet nach einer Pflanze, deren Wurzel die Indianer als Nahrungsmittel verwandten und die heute die Nationalpflanze des Staates Montana ist. Abends schlugen Thomas und Heiner auf einem Campingplatz ihre Zelte auf. In Dillon trafen wir auf den Radler Jim aus Seattle, ehemaliger Tri-Athlet, der für etwa zwei Wochen durch die Rockys fährt. In den USA ist der Urlaub meist kürzer als in Deutschland, und soviel Zeit wie wir hat ohnehin niemand sonst. Jim lud uns ein, in Seattle während unseres geplanten Aufenthaltes bei ihm zu wohnen. In Darby zelteten wir auf einem Wohnwagen-Platz, dessen anderen Gäste offenbar fest dort wohnten. In mehreren Städten haben wir solche Wohnmobil-Plätze wahrgenommen, die jeweils außerhalb liegen und Wohnorte für Menschen in eher sozial prekären Situationen sind. Auch das ist Teil des American way of life. 

Am 14.8. schließlich kamen wir in Missoula an, einer hübschen Universitätsstadt. Es ist eine jener mittelgroßen amerikanischen Städte, die sehr angenehm sind und in denen wir gerne etwa verweilen: großzügig und modern angelegt, sehr gepflegt, und geruhsam, mit vielen Cafés und netten Kneipen, in einigen am Abend live-Musik, mit vielen jungen Leuten und einem gut-bürgerlichen Publikum (übrigens fast durchgängig weiß), ausgewiesenen Fahrradwegen, langsam und entspannt fließendem Autoverkehr, man kann fast mit geschlossenen Augen die Straße überqueren. Alles weit entfernt von cowboys und red-necks. Hier haben wir auch aus unserer „Radler-Comunity“ Ken und Joan wieder getroffen, die uns über längere Zeit jeweils ein bis zwei Tage voraus waren. Und Rich und Tash, das junge englische Pärchen, mit dem wir in Missouri Anfang Juli zusammen zelteten. Sie waren jetzt zusammen mit Charly, den wir erst kürzlich getroffen hatten. Es war jeweils eine überaus freudige Begrüßung. Wir wollen zwei Tage in Missoula bleiben, die Räder nochmals checken, zumal Ralf einen Speichenbruch hatte, und die Geschäftsstelle der amerikanischen „Adventure Cycling Association“ aufsuchen, die die amerikanischen Fernradler-Routen betreut und die Karten dazu herausgibt. 5.500km haben wir schon geschafft, es breitet sich bereits das Gefühl aus, kurz vor dem Ende zu sein. Aber es sind noch über 1000km und mindestens zwei Staaten bis zum Ziel Pazifik, Idaho und Oregon. Am 17.8. soll es weitergehen, allerdings: Waldbrände haben sich auch um Missoula ausgebreitet, eine Qualmwolke nicht weit entfernt verdunkelt die Sonne und ein Pass, über den wir fahren müssen, war zeitweise gesperrt. Wir hoffen, dass er wieder geöffnet ist, wenn wir losfahren. Dem Pazifik entgegen.























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