C2C 008 Durch die Prärie


Kansas, das waren 800 km und neun Tage durch weites, flaches Land, durch die Great Plains, die Prärie. Die Berge liegen, endlich, hinter uns. Es  ist Schluss mit dem ewigen kräftezehrenden Auf und Ab.

Und, vor allem: Wir haben gut die Hälfte unserer TransAm-Route geschafft. In Eads, ungefähr am Übergang von Kansas nach Colorado, hatten wir 2.131 Meilen = ca,. 3.400km zurück gelegt, in bis dahin 46 Radeltagen plus 5 Pausentagen. Wau!!!



Vielleicht ist das Ganze ein bisschen verrückt, aber wir waren stolz auf uns. Allerdings: Das bedeutet auch, dass wir die gleiche Strecke noch einmal vor uns haben. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir das auch schaffen werden. Bislang, toi, toi, toi, lief alles glatt, bis auf einen Sturz von Maria, inzwischen längst verheilt, gab es keine Verletzungen, keine Pannen, keine unangenehmen Zwischenfälle. Wir hoffen, dass dies auch im zweiten Abschnitt so bleibt. Auf uns warten jetzt die Rockys, wahrscheinlich der spannendste Teil der Strecke.

Vor allem freuen wir uns sehr, dass Thomas nachkommen wird. Das ist jetzt entschieden. Anfang August fliegt er nach Denver/Colorado und wird sich einklinken, völlig runderneuert, mit den ausgewechselten Ersatzteilen Knie und Hüftgelenk. Die Generalprobe, den Feldberg mit dem Rad zu erklimmen, hat er schon geschafft, dann schafft er auch die Rockys. Und das nur zwei Monate nach einer solchen OP. Erstaunlich und bewundernswert. Wir rufen schon einmal: Willkommen in den Rocky Mountains, lieber Thomas!!

Aber bleiben wir noch einen Moment in Kansas, das wir gerade durchradelt haben. Viele beschreiben Kansas als langweiligen Abschnitt der TransAm.


Und tatsächlich: Die Straßen ziehen sich endlos wie mit dem Lineal gezogen durch die Landschaft, immer geradeaus, kerzengerade, über -zig Kilometer schnurstracks bis zum Horizont. Vorbei an endlosem Grasland, glotzenden Rinderherden, schier unendlichen Feldern mit Mais, Weizen oder Sojabohnen. Wie Wahrzeichen ragen riesige Getreidespeicher in den Himmel, schon aus 15km Entfernung sichtbar. Ab und an eine Farm, alle 30 – 40km ein winziger Ort, mit viel Glück bekommen wir in einer Tankstelle oder einer kleinen grocery einen Kaffee oder eine kalte Cola.



Und doch: Auch diese Landschaft hat ihren besonderen Reiz. Da ist die Einzigartigkeit der Prärie, die Faszination ihrer scheinbar unendlichen Weite, der Blick gleitet in die Ferne bis zum Horizont. Da sind die herrlichen Sonnenaufgänge, das goldgelbe Leuchten selbst der bereits abgeernteten Weizenfelder in der Morgensonne.



 Da ist das satte Grün des Präriegrases, das später, im Übergang nach Colorado, abgelöst wird durch kürzere Gräser und die für Rinder ungenießbaren   graugrünen Sagebrush-Büsche, eine Beifuß-Art.


 Am Wegrand blühen Sonnenblumen und die schwarzäugige Susanne, ein Sonnenhut. Ganz allmählich, für uns durchaus spürbar, steigt das Land an von ca. 600 Höhenmeter am Anfang von Kansas bis hoch auf die trockeneren High-Plains mit 1.400 m vor Pueblo / Colorado.


Leider blieb es nicht bei dem Rückenwind, den wir zu Beginn vor Pittsburg hatten. Bereits am nächsten Tag, auf der Strecke nach Chanute, 100 km, mussten wir gegen Wind aus Süd-West, also von schräg vorne ankämpfen. Dies steigerte sich am Tag darauf, auf der Strecke nach Eureka, wieder 100km, durch orkanartige Böen. Dazu kam die Hitze, die sich von Tag zu Tag steigerte. 40 Grad waren es nachmittags in Newton, dem Etappenziel des dritten Tages in Kansas, 120 km entfernt. Wir fuhren um 5.30 Uhr los, es war noch stockdunkel, aber zumindest die ersten Stunden waren angenehm kühl und noch fast windstill.



Um 13.30 Uhr kamen wir an, bevor die Hitze unerträglich wurde. An den vier folgenden Tagen erreichte die Hitze mit 41 Grad ihren Höchststand, wir starteten teils bereits um 5.00 Uhr.



Danach ging die Temperatur auf „nur“ 38 Grad zurück, teils zogen Wolken auf, der Wind flaute ab. Hinter Tribune überschritten wir die „Grenze“ nach Colorado.


Erst am letzten Tag auf dieser Etappe, auf der Strecke nach Pueblo bereits in Colorado, hatten wir nochmals angenehmen Rückenwind. Es gab nur schmale shoulder auf den Straßen, aber der Verkehr war mäßig, allerdings mit einem hohen Anteil an trucks, die uns meist mit großem Abstand überholten. Allerdings: Zelten war nicht. Bei der Hitze nachmittags und abends in den jeweiligen  City-Parks mit ihren doch bescheidenen Sanitärangeboten im Zelt zu schmoren, das wollten wir uns nicht antun. Da waren Dusche und Klimaanlage in dem meist einzigen Motel angenehmer. So war die Strecke trotz der Hitze gut erträglich, mittags war Zeit für eine siesta und zum Entspannen,.

So ruhig und friedlich die Prärie sich präsentiert, so spannend und konfliktreich ist doch ihre Geschichte, die ausreichend Stoff bot für unzählige Wild-West-Bücher und Filme. Auf unserer Route stießen wir immer wieder auf Zeugnisse aus dieser wechselvollen Geschichte. 30 Millionen Bisons zogen einst in stattlichen Herden durch diese Landschaft. Nur ein knappes Jahrzehnt brauchte es, um sie bis auf Restbestände auszurotten. Ein barbarischer Vorgang. Nach dem Städtchen Tribune kamen wir an einem Hinweisschild vorbei, das auf den Ort des Sandy Creek-Massakers im Jahre 1864 ganz in der Nähe. hinwies. Dort wurde eine Ansiedlung friedlicher Cheyenne und Arapaho-Indianer von einer Armee-Einheit überfallen und fast 200 Indianer, meist Frauen und Kinder, getötet. Dieses Massaker war Teil der sog. Indianerkriege , die einst hier stattfanden. Doch mit dem Ende der Büffel war auch den Indianern die Lebensgrundlage entzogen, sie wurden zwangsweise in Reservate in Oklahoma umgesiedelt. Damit begann die legendäre Zeit der Cowboys, die riesige Rinderherden über die weite Prärie führten. Wir waren erstaunt, dass ihre große Zeit kaum mehr als zwei Jahrzehnte dauerte. Es war eine so lapidare Erfindung wie die des Stacheldrahtes (patentiert 1871) und seiner kostengünstigen Produktion, die nach 1890 dazu führte, dass Grundbesitzer ihr Terrain einzäunten und jeweils eigene Herden hielten. Vorbei war es mit der weiten, offenen Prärie. Später wurden große Flächen umgepflügt und in Ackerland umgewandelt. So ist die Situation bis heute.

„Wenn es heftig stinkt, schließen Sie bitte sofort das Fenster. Das ist das einzige, das hilft,“ so Carol, die Wirtin des „Hotel Ordway“ beim Einchecken. Wir wussten, wovon sie sprach, denn wir hatten den fürchterlichen Gestank über mehrere Kilometer auf dem Wege hierher ertragen müssen. Und bei ungünstigem Wind blies das eben bis zum Städtchen Ordway.



Und es war dieser Gestank, der gründlich eine Illusion platzen ließ. Unsere Illusion nämlich, dass die Ribeye-steaks in den USA bedenkenlos und mit Genuss zu essen seien, weil sie von glücklichen, in den Weiten der Prärie grasenden und sich nur gesund ernährenden Rindern stammen. Der Gestank nämlich kam von sog. Feedlots, offenen Flächen von mehr oder weniger einem Quadratkilometer, auf denen zusammengepfercht bis zu zig-tausende von Rindern auf industrielle Weise mit Spezialfutter,  Hormonen und Antibiotika zur Schlachtreife gemästet werden. Kälber werden etwa im Alter von einem Jahr an die Feedlots verkauft, dort verbleiben sie dann noch drei bis vier Monate. Das Futter wird sogar angewärmt, damit der Energieaufwand für die Tiere geringer ist, die Tiere Fett ansetzen und so die typischen, mit dünnen Fettstreifen durchzogenen und marmoriert aussehenden Steaks entstehen.   Draußen in der Prärie würde es zudem bis zu drei Jahre dauern, bis die Rinder schlachtreif sind. Wir fuhren auf unserem Weg an einer ganzen Reihe solcher Feedlots vorbei. Entsetzlich, nicht nur der Gestank. Der Appetit auf Steaks war uns vergangen, zumindest für die nächsten vier Tage.

Und es waren nicht nur die Feedlots, die uns in dieser Region entsetzt haben.
Eureka, angeblich 3000 Einwohner, ist eigentlich ein hübsches Städtchen. Mit  repräsentativen Gebäuden vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in der Mainstreet, einem ehrwürdigen Hotel, zahlreichen herrschaftlichen Gebäuden zum Stadtrand hin. Nur, viele dieser Gebäude sind völlig herunter gekommen, gähnend offene Fenster zeugen davon, dass sie leer stehen, jedes zweite Geschäft ist geschlossen, oft mit Brettern vernagelt. Nicht besser steht es um viele Häuser am Stadtrand, Fensterscheiben sind zerbrochen, auf der einst hübschen Terrasse wuchert Unkraut, im zugewachsenen Garten liegt Müll. Das alte Hotel ist seit langem geschlossen, ein vergilbter Zettel mit Telefonnummer verkündet, wer Interesse habe, solle dort anrufen.

Ähnlich deprimierend sieht es in allen dieser kleinen Städtchen aus, durch die wir kamen. In manchen Orten gab es in der Mainstreet nur noch das Postamt, in den USA nach wie vor staatlich, das intakt war, weiß angestrichen und hübsch heraus geputzt.


Auch amerikanische Radler, die wir trafen, zeigten sich überrascht und entsetzt über diese Tristesse. Es wäre für uns unvorstellbar, in einer solch erdrückenden Situation zu leben, und wir sind sicher, dass die angegebene Einwohnerzahl nicht mehr stimmt und viele Menschen, vor allem junge, diese Orte längst verlassen haben. Die Menschen in den ländlichen Gebieten fühlen sich abgehängt, das wurde nach der Wahl Trumps als eine der Ursachen genannt. Für uns wurde mehr als deutlich: Dies ist nicht nur ein Gefühl, diese Gebiete sind tatsächlich wirtschaftlich abgehängt, und zwar auf dramatische Weise. Warum gelingt es nicht, diesen Niedergang aufzuhalten?


Die Besitzerin eines Cafés in Ness City, die vergeblich auf Kunden wartet, nennt Landwirtschaft und Erdöl als Stützpfeiler der Wirtschaft in Kansas. Sie sind unübersehbar, die elektrisch betriebenen Ölpumpen verstreut auf den Feldern, die pickenden Störchen ähnlich in gleichmäßigem Takt Öl fördern.

Wie ertragreich diese Ölförderung ist, haben wir nicht heraus bekommen. Auf jeden Fall, so die Café-Inhaberin, seien die Ölpreise drastisch gesunken, in der Landwirtschaft finde seit langem ein Konzentrationsprozess statt, die Preise stagnierten und gingen zurück, Farmen schließen, Arbeitsplätze gehen verloren,. Aber sie hofft, dass wieder bessere Zeiten kommen.


In Pueblo gönnen wir uns zunächst einmal zwei Tage Pause. Hier zumindest scheint es auch wirtschaftlich einigermaßen zu florieren, am Stadtrand waren wir an einer ganzen Reihe von mittelständischen Betrieben vorbei gefahren. Und die Stadt selbst ist nett, mit ansprechenden Geschäften und Cafés, einem hübsch gestalteten „riverwalk“ entlang des Arkansas, der hier noch ein kleines Rinnsal ist. Hier können wir einmal durchatmen, bevor wir den zweiten Teil des Trails in Angriff nehmen. Hier haben wir Ken und Joan, die beiden Radler aus Ohio, wieder getroffen und einen netten Abend mit ihnen verbracht. Die Silhouette der Rockys ist bereits zu erkennen, die von neuen Anstiegen kündet. Wir sind darauf sehr gespannt.

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