C2C 007 durch Missouri

am Mississippi



Längst haben wir den Mississippi überschritten, Sehnsuchtsfluss unserer Kindheit und Jugend, der Fluss, an dem Tom Sawyer und Huckleberry Finn ihre legendären Abenteuer erlebten und wir bei jeder Zeile mit fieberten. Leider waren die beiden nicht da, um uns zu begrüßen, und statt des Flosses von Huck Finn fuhren riesige Schubverbände mit Kohle den Fluss hinauf. Eindrucksvoll war der Fluss in seiner majestätischen Breite dennoch. In Chester, einem Städtchen am Fluss etwa 100 km südlich von St. Louis übernachtete  Heiner in dem winzigen "Shady Rest Motel", gerade groß genug, um seine Luftmatratze auszubreiten.


 In einer Bierkneipe nebenan traf er auf Peter, einen ehemaligen Air-Force Piloten, der mehrere Jahre in Ramstein stationiert war und recht gut Deutsch sprach. Er fuhr ebenfalls einen Teil der TransAm, und mit ihm trank Heiner das eine oder andere des leckeren, frisch gezapften draught-Bieres, das hier ausgeschenkt wurde und Peter schwelgte in Erinnerungen an Deutschland. Am nächsten Tag trafen wir drei, Maria, Ralf und Heiner, uns wieder und fuhren über die enge Brücke, von zahlreichen Trucks überholt, auf die andere Seite in den nächsten Bundesstaat Missouri. 
Die Route führte in großen Teilen entlang des Weges, den im 19. Jahrhundert die Planwagen-Trecks westwärts nahmen und vorher die Lewis and Clark-Expedition, die um 1802 im Auftrag von Präsident Jefferson den amerikanischen Westen überhaupt erst erkundet hatten. Wir lernten die Ozarks kennen, das Gebirge, das zwei Drittel des Bundesstaates Missouri ausmacht. Wir wurden nochmals gewaltig gefordert durch steile, mühsame Aufstiege und viel zu kurze Abfahrten. Es ist einfach nicht fair, die Relation zwischen Aufstiegen und Abfahrten. Und wenn wir geglaubt hatten, wir hätten mit den Appalachen den anstrengendsten Teil des Trails hinter uns, so wurden wir eines besseren belehrt. Die Ozarks standen dem kaum nach.


Farmington war nach 80km unser nächster Stopp, in einer schönen, gepflegten biker-Unterkunft, von der Gemeinde unterhalten. Es ist ein nettes Städtchen, mit so etwas wie einer Innenstadt auf etwa 200m Länge, ansprechenden Restaurants und einem gemütlichen Café. Uns fielen zahlreiche schlanke, gepflegte, geschmackvoll gekleidete Menschen auf, vor allem Frauen.




Der Trail führt uns fast ausschließlich durch sehr ländliche Gebiete, mit winzigen Dörfern, eine kurze Straßenkreuzung nur, mit bestenfalls einer Tankstelle als einzigem Laden, Treffpunkt und Kommunikationszentrum für die einheimische Bevölkerung, die rundherum auf Farmen oder in einzeln stehenden Häusern lebt. Hier kommt man eher im Arbeits-Dress, kurze Hose, T-Shirt, sehr lässig. Diese Menschen wirken sehr handfest, zupackend, individualistisch, viele mit Western-Hut, Zopf, Tätowierungen, fernab aller Mode-Magazin-Normierungen. Jeder mit eigenem, individuellen Charakter und Erscheinung. Und fast jeder begrüßt uns freundlich mit einem kurzen "How are you going today?"
Weiter gings über Ellington, Eminence, Houston, Marshfield, Ash Grove. Es war brütend heiß und schwül und verdammt anstrengend und unglaublich schweißtreibend. Literweise tranken wir eiskalte Cola , ein Getränk, das wir zu Hause nie anrühren, erschöpft fielen wir in jede Tankstelle ein.

Houston Ortsmitte




Bei Houston verbrachte Heiner einen Abend und eine Nacht bei Judy und Wes. Die beiden sprachen oft Radler an und luden sie zu sich nach Hause ein, einfach so, aus Freundlichkeit, umsonst. Maria und Ralf hatten bereits ein Hotel in der Stadt, Heiner konnte stattdessen die Einladung annehmen. Es war ein wunderschöner Abend. Wes ist administrativerer Leiter im örtlichen Krankenhaus in Houston, Judy pensionierte Lehrerin. Sie wohnen etwas außerhalb der Stadt auf einem riesigen Grundstück, drei unterschiedlich großen Häusern, Swimmingpool, schönem Wald- und Wiesengelände, das wir mit einen kleinen Motor-Fahrzeug abfuhren. "We are Hill-Billy`s", meinten sie von sich scherzhaft.





Tatsächlich sind sie sehr liberale, aufgeschlossene, interessante Menschen, und wir hatten eine sehr anregende Unterhaltung. "Wir mögen es, draußen auf dem Land zu leben." Wes bereitete ein Barbeque vor und Judy holte frisches Gemüse und Kräuter aus dem eigenen Garten. Es war ein leckeres Essen und das beste Streak, das Heiner bislang in den USA gegessen hatte. "Ich verstehe unser Land nicht mehr," meinte Wes. "Ich habe große Achtung vor dem Amt des Präsidenten. Aber vor diesem Präsidenten Trump habe ich keinerlei Achtung." Allerdings, die meisten ihrer Nachbarn hätten wohl Trump gewählt.


Sie konnten das nicht verstehen und führten es vor allem auf die fake-News zurück, die großen Einfluss gehabt hätten. Es war wohl die Hoffnung auf Veränderungen und Verbesserungen, tatsächlich hätten die Menschen gegen ihre eigenen Interessen gestimmt. Wes verteidigte vehement Obama-Care, das endlich für die breite Bevölkerung ein Anrecht auf eine Krankenversicherung gewährleisten würde.
Am nächsten Morgen frühstückte Heiner mit Wes in der Cafeteria des Hospitals, sehr lecker und reichhaltig. Das Krankenhaus leistet die gesundheitliche Versorgung der Umgebung, 200 Menschen finden dort Arbeit. Houston selbst hat etwa 2.000 Einwohner, 25.000 sind es im County insgesamt. Die meisten Menschen würden lieber draußen auf dem Lande wohnen, verstreut in der Umgebung. Jeder hat das Recht, auf seinem Grundstück zu bauen, so etwas wie eine Landschaftsplanung gibt es wohl kaum. Bei uns würde das zu einer völligen Zersiedlung der Landschaft führen, hier ist so viel Platz, dass es immer noch genug offenes Hinterland gibt. Und es gibt einen reichen Wildbestand, "Hirsche kommen bis an unser Grundstück heran," so Wes, der auch selbst jagt.
Häuser mit Grundstück sind hier auch eher erschwinglich als in Deutschland, die Preise bewegen sich laut Anzeigen von Maklern zwischen 70.000 und 250.000$, und die meisten Häuser, die wir unterwegs sehen, sind durchaus bescheiden. So können sich die meisten Menschen auch mit kleinerem Einkommen ein Haus leisten. Viele Häuser sind aufgegeben und verrotten, oft steht nicht weit davon entfernt ein neues Haus.
Ralf hatte unterwegs eine Panne. Der Mantel war kaputt, einen Ersatz hatte er nicht. Und das unterwegs, mitten auf der Landstraße, weitab jeder Siedlung. Was tun? Er hielt einen Autofahrer an und bat um Hilfe. Dieser, Andrew, lud ihn mitsamt Fahrrad kurzentschlossen in sein Auto, fuhr 35 km weit bis ins nächste Fahrradgeschäft, dort gab es keinen entsprechenden Mantel, also nochmal weiter bis Springfield, nochmal 30 km. Dort wurde das Rad repariert, und dann fuhr er ihn nochmals 70 km weit bis zu unserem nächsten Etappenziel. Einfach so. Aus purer Hilfsbereitschaft. Ralf will ihm wenigsten das Benzin bezahlen. Er lehnt vehement ab. Wirklich großartig. 
Mehrfach übernachten wir in City Parks oder in festen, gemeindeeigenen Unterkünften zusammen mit Ken und Joan, dem netten Ehepaar aus Ohio. Und zweimal mit Rich und Tash, einem jungen Pärchen aus England. Auch Thornton treffen wir wieder, den jungen amerikanischen Biker mit der Katze. 




So entsteht hier so etwas wie eine community, man freut sich bei jedem Treffen, tauscht sich aus, fühlt sich durch ähnliche Erlebnisse miteinander verbunden und bleibt per e-mail miteinander in Kontakt. 
Nach Ash Grove endlich verlassen wir noch mit einigen Aufs und Abs die Berge der Ozarks. No more hills! Vorläufig. Zum Abschied kehren wir bei strömendem Regen in Golden City in "Cooky`s Café" ein und essen von dem berühmten Blueberry Pie oder anderen Kuchen, der wirklich herrlich schmeckt. Dann gehts weiter, nochmals 55 km, wirklich fast völlig flach. Nicht zu glauben. Das hatten wir noch nie. Und dazu hatten wir noch unglaubliches Glück und wurden von Rückenwind unterstützt. So flogen wir am 4. Juli, am Independence-Day, durch die Landschaft bis hinein nach Pittsburg in Kansas. unserem fünften Bundesstaat. In ganz Kansas wird es so flach bleiben. Manche sagen, das sei langweilig. Wir freuen uns erst einmal darüber und hoffen, dass uns auch der Rückenwind erhalten bleibt. Abends gibt´s ein Feuerwerk, zum Independence-day. Ein großartiges Willkommen.


Stars and Stripes everywhere


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