10 Die Hölle von Khe Sanh


"Die Hölle von Khe Sanh" - so hat sich diese Hochebene in der Mitte Vietnams im kollektiven Gedächtnis Amerikas eingegraben. In der Demilitarisierten Zone (DMZ) am 17. Breitengrad, der damaligen Grenzlinie zwischen Nord- und Südvietnam gelegen, war sie von der US-Army zu einem militärischen Stützpunkt ausgebaut worden. Ab Jahresbeginn 1968 wurde sie von nordvietnamesischen Truppen monatelang eingekesselt und attackiert. Die Vietnamesen wurden dafür mit einem gnadenlosen Bomben- und Napalm-Teppich belegt, teils mit B52-Bombern, teils vom nahe gelegenen Rockpile aus, einem steil aufragenden Berg, von der US-Army als Artillerie-Stützpunkt und Beobachtungsposten verwendet. Die Vietnamesen konnten die Hochebene zwar nicht erstürmen, umgekehrt gelang es den Amerikanern trotz pausenlosen Bombardements ebenfalls nicht, den Klammergriff zu sprengen. Letztlich mussten sie das Terrain aufgeben.




 Es war eine der brutalsten Schlachten des Vietnamkrieges, zu der Anzahl der Menschen, die hier starben, gibt es nur  grobe Schätzungen. Heute präsentiert sich die Hochebene wieder begrünt inmitten einer friedlichen Berglandschaft. Ein kleines Museum sowie die Wracks zerstörter amerikanischer Panzer und Flugzeuge erinnern an die dramatischen Ereignisse vor über 40 Jahren.




Für unsere Fahrt zu den Stätten des Vietnamkrieges in der DMZ hatten wir uns für eine Bustour mit Führung entschieden, da die Orte zu weit auseinander liegen und mit dem Rad schwer zu erreichen sind. Erschüttert hat uns ebenfalls der Tunnel von Vinh Moc. Maulwurfsartig hatten sich die Menschen bis 20 Meter tief und teils auf drei Ebenen in einen Berg eingegraben, um sich vor den Bombenteppichen der amerikanischen Invasoren zu schützen.


300 Menschen harrten jahrelang in diesem Tunnelsystem aus, mit niedrigen, dunklen Gängen, kleinen Ausbuchtungen, bei denen wir uns kaum vorstellen konnten, dass ganze Familien darin lebten, Krankenstationen eingerichtet waren und Kinder geboren wurden. Überall gab es solche zweiten Dörfer unter den Dörfern, um ein Überleben zu ermöglichen. Nachts wagten sich die Menschen teilweise an die Erdoberfläche, um der Feldarbeit nach zu gehen.




Nicht weit davon entfernt besuchten wir die Da Krong-Brücke, mehrfach zerstört und wieder auf gebaut. Hier lag auch der legendäre Ho-Chi-Minh-Pfad, auf dem in monatelangen Märschen zu Fuß, mit Fahrrädern und später mit Lastwagen Munition, Verpflegung und auch Truppen in den Süden transportiert wurden. Es gelang der US-Army trotz massiven Bombardements (es fielen mehr Bomben als im 2. Weltkrieg in Deutschland) nie, ihn zu zerstören oder auch nur zu unterbrechen. Heute ist dieser Weg zum asphaltierten Highway Nr 9 ausgebaut, der bis zum Mekong führt.




Die unglaubliche Brutalität dieses Krieges wird an dem zynischen Begriff  "Hamburger Grill" deutlich, der von den Amerikanern für eines der blutigsten Schlachtfelder in dieser Region benutzt wurde. Es waren Menschen, die dort wie Hamburger zerstückelt oder durch Napalm bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Mehr als 30 Jahre dauerte dieser Krieg, bis die US-Army abzog und 1975 Saigon durch Nordvietnamesen und den Vietcong eingenommen und das korrupte südvietnamesische Marionettenregime endlich gestürzt wurde.

                                                       Film "Apokalypse Vietnam"




Es war für uns erstaunlich, dass man heute, nur 40 Jahre später, außer einigen Museen, Monumenten und Begräbnisstätten für die gefallenen Vietnamesen davon kaum noch etwas spürt. Allerdings: Wir wurden zweimal bei Führungen zu Behindertenwerkstätten geführt, in denen Kunstgewerbe hergestellt wurde. Etwa eine Million Menschen (der ca. 91 Mio Einwohner Vietnams) leiden unter den Folgen des Einsatzes von Agent Orange durch die US-Army, einem Entlaubungsmittel, das noch über Generationen genetische Veränderungen und Behinderungen hervorruft. Hergestellt übrigens u.a. von der Firma Monsanto, die nach wie vor in dubiose Praktiken verwickelt ist.

Ansonsten aber ist das Land ganz offensichtlich nach vorn orientiert und in einer dynamischen Entwicklung begriffen. Nirgendwo waren weder für uns noch für Amerikaner, die wir trafen, auch nur die geringsten Anzeichnen von Feindschaft oder Ablehnung erkennbar. "The people of the USA and Vietnam are now friends," erklärte ein Vietnamese. Wir wurden überall mit großer Neugierde, Offenheit und geradezu überwältigender Gastfreundschaft aufgenommen. Das gilt sowohl für jüngere Menschen, die 3/4 der Bevölkerung ausmachen als auch für Ältere, die den Krieg noch miterlebt haben. Für uns jedenfalls war der Besuch dieser Stätten des Vietnamkrieges einer der Höhepunkte unserer Reise, denn es erinnerte uns an unsere eigene Geschichte und unsere Solidarität ab 1966 für den Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes.

Ausgangspunkt für unsere Exkursion in die Demilitarisierte Zone war die alte Kaiserstadt Hue, über 150 Jahre bis 1954 Hauptstadt Vietnams. Auch sie war im Krieg weitgehend zerstört worden. Hier lebten in einem riesigen, kilometerweiten Palastgelände die Kaiser des Nguyen-Herrschergeschlechts mit ihren Mandarinen, Eunuchen und über 100 Konkubinen. Es war eine bizzarre, streng hierarchisch gegliederte und in Ritualen erstarrte Welt, die hier auf Schautafeln dargestellt wurde. Sehenswert sind die Eingangstore des Palastes, insbesondere das Mittagstor, sowie die "Halle der größten Harmonie" (welch grandiose Namensgebung), die für öffentliche Zeremonien vorgesehen war. Daran grenzt die verbotene, die Purpurene Stadt", die nur dem Kaiser und seinen Konkubinen vorbehalten war. Aber davon sind nur noch Ruinen erhalten, als Folge des Krieges und des Zahnes der Zeit. Es finden Renovierungsarbeiten statt, aber offenbar gibt es, für uns nachvollziehbar, andere Prioritäten.



Ansonsten ist Hue eine nette, mittelgroße Stadt, sehr auf Touristen eingestellt, aber ohne besondere Charakteristika. Wir waren mit einem bequemen Nachtzug von Hanoi aus hierher gefahren, weil wir uns dem Verkehr auf den vietnamesischen Highways mit unseren Rädern nicht aussetzen wollten, und wir blieben einige Tage. Dann wollten wir über den Wolkenpass weiter nach Süden fahren. Aber es regnete über mehrere Tage und war kühl, ein Wetter fast wie bei uns im November. Da für die folgende Woche auch für den Süden keine Besserung vorausgesagt war, zog es uns in die Sonne jenseits des Gebirgszuges, der Vietnam von Laos trennt. So verabschiedeten wir uns bereits nach knapp drei Wochen wieder von Vietnam. Mit Bedauern, denn uns hat dieses interessante Land mit seinen quirligen, taffen, überaus freundlichen Menschen sehr gefallen und wir hätten es gern noch näher kennen gelernt. Aber die Sonne und die Möglichkeit, endlich wieder Fahrrad fahren zu können, wogen schwerer.




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